Gestern, um kurz vor zwei, hat in S. die Totenglocke geläutet und zur gleichen Zeit wurde im Hafen eine Ladung Rotbarsch gelöscht. Das heißt: auf den von der Palette gefallenen Fischverpackungen stand ocean wild & fresh-frozen und die Flagge vor der Kirche hing auf Halbmast.

Vikingur
Prosaminiaturen

2014
Büro für Problem, Basel

Das von Sarah Elena Müller illustrierte und vom Büro für Problem handgemachte Büchlein, das in einer 100er-Auflage rschienen ist, ist leider vergriffen.

Keiluspil

Kári verkauft das Haus seiner Väter, in dessen Erdgeschoss seit vierzig Jahren eine Bowlingbahn ist. Im Haus seiner Väter hat man sich vor dreißig Jahren getroffen, man hat getrunken und Verlobung gespielt. Das Haus von Káris Vätern bringt um die zwanzig Millionen Kronen, davon kann man höchstens zwei Jahre leben, und das auch nur, wenn man sparsam ist. Jeder verkauft irgendwann ein Stück von sich selbst, so oder so.

Nágranni

Unseren Nachbarn haben wir gestern zum ersten Mal gesehen, er hat im Dunkeln die trockene Wäsche reingenommen. Wir nehmen an, dass er durch die Terrassentür ins Haus geht, denn vor der Haustür liegt noch immer ein guter Meter Schnee. Neben dem Haus ist ein Geländewagen geparkt, der ab und zu nicht da ist. Heute haben wir das Auto am Hafen gesehen. Der Nachbar ist von einem kleinen Boot gestiegen, in der rechten Hand hatte er ein Gewehr.

Kurze Aufstellung unseres gesamten Wissens den Nachbarn betreffend:

1: roter Geländewagen
2: Bettwäsche (daraus folgt: Decke, Kissen, Schlaf)
3: kleines Boot
4: normal großes Gewehr

Nesti

Die Haltestellen des Überlandbusses sind Tankstellen, wenn es welche gibt: Olìs oder N1 Nesti. In Staðarskáli hat der Bus eine Viertelstunde Aufenthalt. If you are not in the bus at 12:03, you will be left behind, sagt der Fahrer, bevor er die Türen öffnet, twelve o three. Das ist die einzige Ansage in den sechs Stunden von Reykjavik nach Akureyri, die er auf Englisch macht

Forsögulegur

Ich habe im Garten ein kleines, prähistorisches Tier gefunden. Es heißt Adda, genau wie meine Tochter. Ich habe draußen verschiedene Dinge erledigt, unter anderem habe ich endlich den losen Tritt bei der Treppe zur Haustür repariert, Jòn hat mir seine Bohrmaschine geliehen. Nachdem ich das Brett festgeschraubt hatte, habe ich jedenfalls gründlich gefegt und die Kehrschaufel voll Sand habe ich dann unter den Wacholder gekippt und dabei habe ich das gepanzerte Tierchen gefunden. Es hat mich angeschaut und so einen winzigen Laut gemacht, als ob man versucht, rückwärts zu schreien. Ich habe ihm die Kehrschaufel hingehalten und dann ist es draufgeklettert, seine Hufe haben auf dem Plastik geklackert. Also ich weiß natürlich nicht, ob es wirklich Hufe sind, aber es hat auf alle Fälle Horn da unten. Es ist ungefähr so groß wie ein Rotschenkel, aber mit vier Beinen. Seine Augen sind sehr wach. Ich wollte es wieder runtersetzen, aber es hat sich im Plastik festgebissen. Dann habe ich es in Addas Zimmer gebracht. Seit Adda studiert, kommt sie sowieso nur noch alle paar Monate her. Das Tier sitzt jetzt im Bettkasten und ich versuche, herauszufinden, was es gerne isst. Das älteste, was ich habe, sind Kartoffeln vom letzten Winter und die eingemachten Senfgurken vom Winter davor. Wenn ihm beides nicht schmeckt, könnte ich es noch mit Urdinkel versuchen.

(c) für die Illustrationen: Sarah Elena Müller